Hinführung zum Falkenburger Brevier beim Konventsfest,
Trinitatis 2017
Kurt Dantzer
Liebe Schwestern und Brüder,
nun liegt das neue Brevier in unseren Händen. Es wirkt, obwohl größer im Format und auch etwas schwerer, auf mich leicht und licht in seinem neuen Design. Das vertraute Titelbild vom Rundbrief auch hier. Ich mag es, wenngleich der senkrechte Schriftbalken mir eher querkommt. Doch dazu am Ende noch ein paar Sätze. Ich habe Lust, das Brevier mit euch aufzuschlagen und euch einen ersten Überblick zu verschaffen. Anschließend werde ich einige Fragen stellen, die unseren persönlichen Zugang zum neuen Brevier berühren. Zunächst also:
Wie bekommen wir einen Überblick?
Der sicherste Weg ist, dass wir uns
das Inhaltsverzeichnis genauer ansehen. Schlagen wir es auf. Dort ist schnell zu bemerken, dass sich die grobe Gliederung gegenüber dem bisherigen Brevier verändert hat:
Es sind weniger Rubriken, dafür gibt es zusätzliche Stichworte, unter denen die Texte zu finden sind. Wir aus der Redaktion hoffen, mit den bisherigen und den neuen Stichworten die Gebetsanliegen getroffen zu haben, die sich im Laufe der Zeit am ehesten bei uns einstellen. Wie bisher findet ihr sie, mit Ziffern versehen, auch noch einmal auf den violetten Leitblättern für die Rubriken.
Sodann gibt es bei den Rubriken eine deutliche Unterscheidung zwischen persönlichen und gemeinsamen Gebeten (A – D). Hierbei haben wir versucht, den Situationen Rechnung zu tragen, in denen wir das Brevier praktisch in Gebrauch nehmen, also entweder gemeinsam mit anderen oder wenn wir allein sind.
In einer eigenen Rubrik für persönliche Andachten (D) haben wir jene Formen versammelt, die in den letzten Jahren unter uns neu entstanden sind. Weitere könnten hier aufgenommen werden.
Die Grundform für gemeinsame Andachten und das Tischabendmahl findet ihr jetzt unter F 4 und F 5. Die Gebete für unseren Konvent unter C 1.
Was als Neuigkeit nicht gleich auffällt: Die Texte für jedes neue Stichwort beginnen immer auf der rechten Seite. Dadurch besteht leichter die Möglichkeit zu ergänzen. Denn natürlich kann es sein, dass wir entweder ein Gebet herausgenommen haben, welches dem einen oder der anderen besonders lieb geworden ist, oder dass ihr andernorts ein Gebet gefunden habt, das ihr gern zusätzlich im Brevier haben möchtet.
Ist das Brevier also noch nicht abgeschlossen? So sieht es aus, und es wird spannend sein, wie wir dieses Werkzeug, das wir Falkenburger Brevier nennen, im Gebrauch weiterentwickeln werden.
Doch wozu nehmen wir das Brevier überhaupt in Gebrauch?
Das Vorwort gibt dazu gleich einleitend einen Hinweis mit einem Zitat aus der Lebensordnung unseres Diakoniekonventes. In nüchternen Worten wird dort darlegt, wie wir unser Gemeinschaftsleben gestalten: „Wir feiern Gottesdienst, beten gemeinsam, lesen und bedenken die biblischen Schriften, sind miteinander über unseren Glauben, unser persönliches Leben und unsere Ziele und Aufgaben im Diakoniekonvent im Gespräch.“
Zu unserem Leben als Gemeinschaft gehört also ganz zentral das gemeinsame wie auch das private und das dienstliche Beten. Das Thema des heutigen Konventsfestes „Ora et labora“, diese gemeinhin benediktinisch genannte Losung, hören wir daher als Bekräftigung. Nach ihr gilt es, im Sinne des Schöpfers tätig und dabei – wie Jesus gemahnt hat (Lk 18,1) – allezeit im Gebet zu sein, so dass sich für uns eine lebendige Begegnung mit Gott im Alltag einstellen kann.
Eine junge Benediktinerin hat mich jüngst darauf aufmerksam gemacht, dass zu dieser Losung als drittes das lege gehört, also ora et labora et lege – lies! Damit ist das betrachtende, betende Lesen in der Heiligen Schrift gemeint. So liegt es zum einen nahe, unsere biblischen Leitworte aus der Lebensordnung, wie wir sie im Anschluss an das Vorwort vorfinden, immer wieder zu betrachten und gemeinsam zu bedenken, damit wir uns unserer Berufung immer neu gewiss werden. Und zudem haben wir mit den biblischen Texten und Gebeten im Brevier (E) einen nährenden Schatz für unseren gemeinsamen und persönlichen Weg zur Hand. Heben wir ihn – lesend, betrachtend – immer neu, damit sie hörbar wird, die leise Stimme Gottes: „Ich bin da. Ich bin mit dir.“
Dem allem soll das Brevier als Werkzeug dienen. Die gelesenen, gesprochenen, gehörten Worte sollen uns animieren zu beten und uns zu besinnen. Sie sollen unsere eigenen vielfältigen Gefühle, Gedanken, Impulse sammeln und ordnen, so dass wir zu den Quellen der Ruhe finden. Sie können unseren Blick erweitern und vertiefen, so dass sie uns Räume der Gottesnähe im Alltag auftun, die uns bisher nicht bewusst waren.
Es braucht Übung, damit wir „im Geist“ zu leben lernen (Gal 5,25). Die vielfältige „Früchte des Geistes“, nämlich „Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut, Keuschheit“ (5,22f) brauchen – im Zusammenspiel mit vielen anderen Lebenskräften – tägliche Pflege, damit sie sich unter uns entfalten können. Und das bedeutet nun mal spirituelle Arbeit und nicht nur „Pflaumenkuchen“, wie wir ja gerade erst im Rundbrief bei Fulbert Steffensky lesen konnten.
Wie aber kann das Brevier uns dabei helfen?
Die Antwort liegt nicht sozusagen auf der Hand. Zunächst finden wir ja eine große Ansammlung von Texten vor. Sie sind zwar geordnet, aber es sind doch so viele, dass allein die Menge der Wörter uns den Zugang erschweren könnte. Wie finden wir die Worte, die wir brauchen, die uns helfen? Zur Funktion der Stichworte ist schon das Nötige gesagt. Doch wie kann es gelingen, dass wir vor allem die Stärken der einzelnen Gebete, Psalmen und Formulare wahrnehmen? Und wie können wir mit ihnen zu den Quellen der Freude vordringen, die wir in ihnen suchen?
Das wird, schlicht gesagt, nur mit der Zeit gehen, die das Wachstum nun mal braucht – Zeit, die wir uns regelmäßig und jeweils jetzt dafür lassen, und Zeit, die uns auf unserem Lebens-Glaubens-Lern-Weg dafür bleibt. Erst mit der Zeit werden wir entdecken, welche Gebete, welche Texte im Brevier für uns vor allem dran sind, allein und/oder mit anderen. Die vielen weiteren Texte können wir dann ohne Bedenken übergehen. Nicht jeder ist für jeden und jede geeignet. Und alle Texte sind veränderbar.
Das andere ist unsere Einstellung zum Beten und zu den Gebetsworten. Die Müdigkeit und Abwesenheit im Gebet, auch der Zweifel sind uns nicht fremd. Darum der Weckruf Jesu an seine Jünger im Garten Gethsemane: „Wacht und betet, dass ihr nicht in Anfechtung fallt! Der Geist ist willig; aber das Fleisch ist schwach.“ (Mt 26,41) Vor allem in Phasen körperlich-seelischer Not oder auch geistlicher Trockenheit gilt: Öffnet euch gerade jetzt, um Gottes belebenden Geist zu empfangen! Lasst nicht ab zu erwarten, dass sich euch die Kraft mitteilt, die euch stärkt und aufrichtet! Denn sie meint uns persönlich. Und sie meint uns immer neu.
Mir fallen dazu zwei Worte des Schweizer Pfarrers und Dichters Kurt Marti ein. Das eine ist nur ein Halbsatz: „Wunsch – dass Gott ein Tätigkeitswort werde.“ Wohlgemerkt, Gott möge tätig werden, nicht wir sind gemeint. Womöglich wird Gott durch uns handeln, doch zunächst in uns und mit uns.
Ein weiteres Wort geht in die gleiche Richtung: „Noch immer spricht Hoffnung aus dem Satz, dass Gott kein Macher, sondern ein Schöpfer ist.“ Wir, die wir uns so oft im Modus des Machens (mit all seinen Begleiterscheinungen) vorfinden, hoffen auf das Unvermutete, das Andere, auf jene Kreativität, die im Namen Gottes verborgen liegt.
Dabei kommt nun die Titelseite des Breviers ins Spiel. Ich meine ganz gezielt den Stuhl mit dem kleinen Buch, das Symbol der sprichwörtlichen Gastfreundschaft im Lutherstift, benachbart zu den Symbolen für die Werke der Barmherzigkeit, die unser diakonisches Engagement anzeigen. Ich sehe in ihm, so leicht und frei wie er dasteht, auch eine Einladung an uns. Er lädt uns dazu ein, selber Gast zu sein: dass wir unseren Lauf unterbrechen und uns auf ihm niederlassen. Er bietet an, dass wir uns auf ihm mit Leib und Seele „erden“: die Füße, die Hände und vor allem den Kopf ruhen lassen, aufgerichtet durchatmen und loslassen, was uns beschwert und beunruhigt. Er macht es uns, so ungebunden wie er dasteht, zumindest etwas leichter zu sagen: „Ich lege meine Pläne, meine Sorgen und Ängste in deine Hände, Gott.“ Er hält uns den Platz frei an jener unermüdlichen Quelle der Lebendigkeit, die uns unbedingt bejaht – und das immer gerade hier und gerade jetzt.
Wenn nun der Schriftzug „Brüder- und Schwesternschaft“, der vom Stuhl ausgehend senkrecht nach oben führt, nicht nur einen formalen, sondern auch einen inhaltlichen Sinn haben soll, dann vielleicht diesen: Es ist ein Geschehen, dass wir uns mit unserem ganzen inneren Gepäck auf diesem Stuhl niederlassen und dabei zugleich erhoben und „durchlüftet“ werden. Da wird etwas leichter – für uns selbst, im Miteinander und auch im Dasein für andere. Wie das geschieht, Gast zu sein und Gastgeber zu werden für den göttlichen Geist? Auch darüber könnten wir ins Gespräch kommen. Also noch einmal: Der Stuhl ist frei.